Projekte - Verkeshirdendenkmal
Der Verkeshirdenturm und das Denkmal
Der Verkeshirdenturm wird 1468 das erste Mal urkundlich erwähnt und ist einer von insgesamt neun Türmen und acht Wachthäusern unserer Stadt. Wie man bei Tiefbauarbeiten 1986 feststellen konnte, handelte es sich um einen runden Turm. Er hatte im Fundamentbereich eine Wandstärke von etwa 2,10 Metern. Wie hoch er war, lässt sich heute nicht mehr feststellen.
Seinen Namen erhielt der Turm wegen der Verkeshirden, die dort auf die Schweine der Bürger warteten, um sie aus der Stadt zu führen. Es war den Bürgern der Stadt nämlich nicht erlaubt, ihre Schweine selbst auf die umliegenden Weiden oder in den Wald zu führen. Wer es doch gewagt hat, musste mit hohen Geldstrafen rechnen. In den Wald durften die Schweine der Bürger nur zwischen Anfang Februar und Ende April geführt werden, wofür auch der sogenannte Holzgraf sein Einverständnis erteilen musste. Das Amt des Holzgrafen lag immer bei den Besitzern der Burg Haus zum Haus.
Der Verkeshird war ein städtischer Angestellter, der für seine Arbeit pro Jahr aus der Stadtkasse ein Paar Schuhe, Getreide und Wein bezahlt bekam. Hinzu kam noch das sogenannte Hütegeld, welches vom Stadtrat festgelegt wurde und das jeder Bürger pro Schwein an den Verkeshirden zu entrichten hatte. Es gab teilweise auch zwei Verkeshirden gleichzeitig und später sogar noch einen zusätzlichen Kuhhirten, der ebenfalls aus der Stadtkasse bezahlt wurde. Ob der Verkeshird in dem Verkeshirdenturm auch wohnen durfte, lässt sich nicht nachweisen. Der Verkeshird wie auch andere Hirten hatten auch grundsätzlich ein Horn mit sich zu führen, um die Bewohner der Stadt zu warnen, falls er auf feindlich gesinnte Leute stieß – es waren damals sehr unruhige Zeiten in unserer Gegend.
Laut einer Legende haben die Bürger der Stadt Ratingen Anfang des 17. Jahrhunderts die drei wertvollsten Glocken, die Katharinenglocke (13. Jahrhundert), die Marienglocke (auch „Märch“ genannt; 1498 ) und die Peter-und-Paul-Glocke (1523) aus dem Turm der Kirche St. Peter und Paul geholt und im Wald vergraben, damit sie nicht in die Hände feindlicher Truppen fallen. Durch kriegerische Auseinandersetzungen, die Wiederkehr der
Pest und durch andere Krankheiten wurde die Einwohnerzahl Ratingens sehr stark dezimiert. Da niemand aufgeschrieben hatte, wo die Glocken vergraben wurden, blieben die Glocken lange Zeit verschwunden. Eines Tages war der Verkeshird mit den Schweinen im Wald unterwegs und die Schweine machten, was Schweine nun mal machen: Sie wühlten im Erdreich nach Essbarem. Plötzlich kam ein bärtiges Wesen zum Vorschein, worauf der Verkeshird heftig erschrak und wohl an einen Waldgeist dachte. Er rief die Bürger der Stadt herbei, die dann das Objekt weiter freilegten: Zum Vorschein kam die Glockenaufhängung der „Märch“, die insgesamt sechs bärtige Männer zeigt. Die so lange vermissten Glocken waren endlich wiedergefunden worden. Die Bürger gruben die Glocken aus und brachten sie zurück in den Turm von St. Peter und Paul, wo sie bis heute hängen.
Es hört sich fast wie ein Märchen an, wenn man diese Geschichte liest. Und man ist geneigt, sie in den Bereich der Mythen und Legenden zu verweisen. Aber wenn man sich näher mit der Historie unserer Region beschäftigt, stellt man fest, dass während des 80-jährigen Krieges zwischen Spanien und den Niederlanden (1568 – 1648), der auch uns in Mitleidenschaft gezogen hat, und dem auch parallel laufenden Dreißigjährigen Krieg (1618 -1648) überall am Niederrhein und auch auf unserer Seite des Rheins die Glocken von feindlichen Truppen aus den Türmen geholt wurden, um aus ihnen Kanonen zu gießen. Was auch vielen nicht bekannt sein dürfte: Der Büchsenmeister, der erforderlich war, um große Kanonen zu bedienen, hatte bei einer Einnahme einer Stadt grundsätzlich das Anrecht auf sämtliche vorhandenen Glocken der Stadt. Die Büchsenmeister waren nicht nur Bediener der Kanonen, sondern beherrschten auch das Gießen von Kanonen, die für die damalige Kriegsführung äußerst wichtig waren. Das Anrecht auf die Glocken war damals ein unumstößliches Gesetz, das von allen kriegführenden Ländern akzeptiert und ausgeführt wurde. Manche Städte konnten dem Verlust der Glocken nur entgehen, indem sie dem Heerführer und Büchsenmeister sehr hohe Geldsummen zahlten, was sich die meisten Städte zu diesen Zeiten nicht mehr leisten konnten, da ihre Wirtschaft gänzlich am Boden lag. So gingen einige Städte damals dazu über, ihre Glocken zu vergraben, um sie nach dem Krieg wieder nutzen zu können. Die Sturmglocke (zur Alarmierung bei Gefahr), die im Turm von St, Peter und Paul im Jahr 1466 aufgehängt wurde, ist nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr erwähnt worden. Das lässt darauf schließen, dass sie entweder bei der Eroberung und Plünderung Ratingens 1628 durch die niederländischen Generalstaaten oder 1641 bei der Zerstörung Ratingens durch kaiserliche Truppen aus dem Turm geholt worden war, um aus ihr eine Kanone zu gießen.
Dies lässt die Geschichte des Verkeshirden doch in einem anderen Licht erscheinen. Es wird wohl etwas Wahres daran sein, denn wir haben diese schönen alten Glocken noch – im Gegensatz zu vielen anderen Städten unserer Region. Dass Glocken in Kriegszeiten aus den Türmen entfernt und eingeschmolzen wurden, ist in Ratingen auch zweimal geschehen: im ersten und zweiten Weltkrieg. Da wurden die Glocke aus der Evangelischen Kirche und drei Glocken aus St. Peter und Paul (aus dem 19. Jahrhundert) aus den Türmen entfernt als sogenannte Kriegsgabe. Sie wurden zwischen den Kriegen ersetzt und dann wieder als Kriegsgabe entfernt. Heute hängen in der Evangelischen Kirche eine Stahlglocke und in St. Peter und Paul wieder drei Bronzeglocken, auf denen der Spruch steht: „Das Wüten des schrecklichen Krieges vernichtete mich zweimal, zweimal wurde ich wieder hergestellt, kraft der Tugend, im Jahre des Herrn 1958“.
Dass heute am angedeuteten Verkeshirdenturm das Verkeshirdendenkmal steht, ist den Ratinger Jonges und vielen Spendern zu verdanken. Für die Gestaltung konnte der Künstler Ulrich Grenzheuser gewonnen werden, der das Auffinden der „Märch“ (Marienglocke) durch den Verkeshirden und die Schweine sehr anschaulich dargestellt hat. Grenzheuser ging mit sehr viel Herzblut und Akribie an die Arbeit und verbrachte etliche Stunden
im Kirchturm, um die Märch zu zeichnen und ihre Maße aufzunehmen, denn die Glocke wurde in Originalgröße im Denkmal dargestellt. Ebenso akribisch ging er bei der Gestaltung der Schweine vor. Er suchte einen Bauern, der noch eine Schweinerasse züchtet, die der damals hier verbreiteten Rasse in etwa entsprach. Er setzte sich stundenlang ans Gehege und zeichnete diese Schweine, die ebenfalls in Originalgröße im Denkmal dargestellt wurden. Wer als Modell des Verkeshirden diente ist leider nicht bekannt. Ebenso die Namen der einzelnen Schweine. 1993 wurde das Denkmal der Öffentlichkeit übergeben und ziert seitdem in der Rundung des Verkeshirdenturms den Arkadenhof.
(Oliver Posberg)
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