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Verleihung der Dumeklemmerplakette 2004
Verleihung der Dumeklemmerplakette 2004 an den Projektleiter von Infra-West Heiner van Schwamen.
Vor ca. 150 Gästen aus Politik, Verwaltung und Mitgliedern der Ratinger Jonges und ihre Familien wurde am Samstag, 6. November 2004 die diesjährige Dumeklemmerplakette verliehen.
Die Dumeklemmerplakette verleihen die Jonges seit 1986. Die Ansprache anlässlich der Verleihung hielt der Leiter des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums Ernst R. Klein.
Hoher Baas Karl Heinz Dahmen, verehrte Ratinger Jonges, meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Heiner van Schwamen,
„Beton – es kommt darauf an, was man daraus macht“
Hatte er womöglich von Anfang an diesen Werbespruch der Baustoffindustrie im Hinterkopf, als er Ende 1978 vom Großboichhof aus die riesige Fläche in Augenschein nahm, auf der irgendwo am Horizont zwischen Hochhäusern der Neuen Heimat seine zukünftige Wirkungsstätte entstand – das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium im Stadtteil Ratingen-West, zu diesem Zeitpunkt noch namen- und konturenlos, ein Konglomerat aus dunklem Erdaushub, lärmenden Baumaschinen, wirren Stahlträgern... Ratingen West – Reisbrettretorte auf wüster Fläche, Kaleidoskop künstlichen Lebens?
Als frisch examinierter Geograph wusste Heiner van Schwamen sehr genau um das stadtplanerische Credo der 60-er Jahre:
Belebung „.. nur durch Überlagerung der verschiedensten Funktionen, nur durch eine räumliche Nähe der zentralen Einrichtungen (...). Höchste Intensität im Kommunikationsbereich des gezielten und ungezielten Kontaktes. Befriedigung des Wunsches größter Wahlfreiheit in urbaner Dichte.“
Mit anderen Worten: Beton. Verdammt viel Beton.
Ich sehe ihn vor mir, wie er da steht im Wind der Veränderung und des optimistischen Aufbruchs in eine schöne neue Welt, mit sinnenden Augen unter einer wehenden Mähne, der begeisterte Amateurfußballer aus Kleve. Er hat Visionen, wie sein Idol Günther Netzer. Aber er ist auch durch und durch Pragmatiker. Als er zum ersten mal im Innenhof des nagelneuen Schulgebäudes steht und den liebevoll plattierten Boden betrachtet, fährt seine Hand völlig unreflektiert in die tiefe Hosentasche...
Jürgen Becker vom Dreigestirn Köln (der mit dem Hirschgeweih und der dicken Brille), den Heiner van Schwamen viele Jahre später nach Ratingen-West holen wird, würde Ihnen jetzt erklären, warum:
„Nun, der Holländer als solches hat immer eine Tulpenzwiebel in der Tasche und ein Schüppschen oder Häckschen um die Ecke stehen...“.
Wir wissen, was passiert: Heiner van Schwamen greift zur Spitzhacke, entfernt ein paar Platten, pflanzt Ranker und Blumen, plant einen Teich mit Seerosen.
Was er „draus gemacht“ hat, gehört nicht nur für mich zu den schönsten Plätzen in West. Die Stadt Ratingen honoriert die erstaunliche Verwandlung unseres Innenhofes in eine kleine Oase mit fast mediterranem Charme mit ihrem Umwelt-Schutzpreis.
Vielleicht war das Erleben eines gewandelten Raums zu einem Ort der Begegnung der Anfang, der Aufbruch einem langen Weg reflektierter Veränderungen in kleinen Schritten; ein Weg, auf dem sich unser grüner Heinrich von der Oase West zum bundesweit bekannten und nachgefragten Vater des „Ratinger Modells“ gewandelt hat.
Mit Erlaubnis des heute zu Ehrenden, zitiere ich aus einem Leistungsbericht meines Vorgängers, Herrn OStD Koch , der bereits 1981 zusammenfassend feststellt:
„Herr van Schwamen ist ein guter Lehrer, der sich engagiert, verantwortungsbewusst, mit besonderem pädagogischen Einfühlungsvermögen und großem persönlichen Einsatz um seine Schüler und in besonderer Weise auch um die Entwicklung unserer Schule als Ort menschlicher Begegnung kümmert.“
Zu diesem Zeitpunkt wird der Schriftführer der Ratinger Jonges diesen Ort der Begegnung erst noch kennen und (wie ich hoffe) schätzen lernen; der mit Recht stolze Träger der Ratinger Dumeklemmer-Plakette 2004 unterrichtet seinerzeit bereits in vier Fächern; Geschichte, Erdkunde, Englisch und Politik.
Vielleicht veranlasst den jungen Studierat gerade die Vielschichtigkeit unterrichtlicher Erfahrung und außerunterrichtlicher Begegnung mit seinen Schülerinnen und Schülern, mit ihnen und zunächst nur einigen seiner Kolleginnen und Kollegen Ende der 80er Jahre einen neuen, einen programmatischen Weg zu gehen: Schule öffnet sich für und in den Stadtteil, bietet Identifikation durch Mitgestaltung, fordert und gewinnt Reflexionstiefe und Selbst-Bewusstsein durch generationsübergreifenden interkulturellen Dialog. Heiner van Schwamen und seine Schüler gestalten Mietergärten, laden Senioren ins Klassenzimmer ein, begrünen Hochhausfassaden, verhandeln auf Augenhöhe mit darüber begeisterten Verwaltungsfachleuten und Managern. Im Oktober 1989 erscheint „Beton und Poesie“, der erste von Heiner van Schwamen redigierter Gedichtband, in dem sich unsere Schüler wie Nadja Günther mit ihrem Stadtteil auseinandersetzen.
Markt in Ratingen-West
Jeden Freitag ist Markttag in Ratingen-West.
Von den bunten Ständen auf dem Berliner Platz steigt ein Geruch aus Topfblumen, Fischen und Schokoladenkuchen auf.
Rote Äpfel kontrastieren mit Beton und erinnern an Leben. Viel mehr als nur Früchte.
Gegen Abend verliert sich dieser Geruch zwischen Beton, Metall und Hochhäusern.
Danach heißt es warten bis zum nächsten Freitag.
Lernen mit Ernstcharakter wird Teil des Schulprogramms, van Schwamen und ein ständig wachsender Kreis von Kolleginnen und Kollegen überwinden Widerstände im beharrlichen Dialog mit der zunächst zögernden Politik.
Angesichts der Notwendigkeit, in einem Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf neue Wege zu gehen, um neben der Erhaltung der baulichen Substanz vor allem die Substanz des menschlichen und gesellschaftlichen, bürgerlichen, nachbarschaftlichen Miteinanders zu sichern und zu verbessern – ein Kernanliegen, wie ich meine, auch des Heimatvereins Ratinger Jonges – angesichts der vielschichtigen Problemlagen wird deutlich, dass Schule in West mehr sein muss als Bildungsanstalt klassischer Provenienz. Der Beton dragierter Blickweisen bröckelt, eine kluge Politik, eine engagierte Stadtverwaltung, verlässliche Partner im Stadtteil, allen voran die LEG, schließen sich mit den Schulen in Ratingen West zu einem Netzwerk zusammen, unterzeichnen einen Kooperationsvertrag, der bis heute ungekündigt ist.
Das Projekt Infra-West, über das schon so viel publiziert wurde, hat in hungerten von großen und kleinen Projekten taufende von Menschen aus West und der Welt zusammengebracht, sogar aus Hösel.
Ich hoffe, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie verzeihen mir die kleine Spitze, aber wie so oft verbirgt sich hierin durchaus ein Stückchen Wahrheit:
West wird wahrgenommen dank Infra West – vor allen auch von allen Ratinger Bürgerinnen und Bürgern. Schaut auf diesen Stadtteil – nicht immer, aber (Sie wissen schon).
Ihr Schriftführer Wolfgang Schneider, ein heller Kopf aus West, hat in der Einladung geschrieben, dass die Ratinger Jonges Heiner van Schwamen heute stellvertretend für das Projekt Infra West, für das von ihm und seinen Mitstreitern in und für Ratingen West Geleistete ehren wollen.
Für Ihre Entscheidung und insbesondere auch für Ihre Begründung, verehrter Vereinsvorstand, werden Ihnen die Menschen in West, wird Ihnen der Mensch Heiner van Schwamen dankbar sein. Als begnadeter Stürmer mit Torinstinkt weiß er, dass kreativer Angriffsfußball auf der kollektiven Anstrengung und Disziplin einer homogenen Mannschaft basiert.
Herr van Schwamen steht als Regisseur und Theaterpädagoge (ein zwischenzeitlich absolvierter weiterer Ausbildungsgang) lieber hinter der Bühne, wenn seine „Westhäkchen“ von Beelitz bis Bayern Triumphe feiern. Und wenn er selbst im Scheinwerferlicht steht, sei es als Referent bei der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, sei es wie Roncalli (mit dem er einiges gemein hat) als Manager, Mitspieler Menschenfreund auf der Bühne der ZeltZeit beim Finale mit den Größen der deutschen Comedyszene, oder eben heute, gleich, als Träger der Dumeklemmerplakette, der Ratinger Jonges, dann wünscht er sich vielleicht insgeheim, er hätte sich nicht zu dem großen Kommunikator entwickelt, der er ohne jeden Zweifel ist, und hätte statt in und für Ratingen West, Angriffswirbel zu verursachen, lieber in aller Ruhe in einem italienischen Provinzverein Catenaccio-Beton angemischt.
Diese Chance, lieber Heiner, hast du leider verpasst – zum Glück für die schöne Stadt, in der Du mit Deiner Familie seit langem angekommen bist, und zum Glück für die liebenswerten Menschen, die in ihr wohnen.
Nein, nicht „dumm gelaufen“. „Alles wirkliche Leben“, sagt Martin Buber, „ist Begegnung“. Du dürftest das wissen, als Mensch mit einer beachtlichen und beachteten Lebensleistung und – Sie hören richtig, verehrte Festgäste – als Philosophiestudent kurz vor dem Examen.
Van Schwamen auf dem Weg nach Innen? Höhlengleichnis statt Hochhausperspektive? Warten wir es in Ruhe ab. Wir erinnern uns an den Eingangsslogan: „Platon – es kommt drauf an, was man draus macht...“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden mir verzeihen, wenn ich vielleicht sogar etwas entgegen Ihrer Erwartung versucht habe, Ihnen neben dem Funktionsträger auch den Menschen Heiner van Schwamen etwas näher zu bringen.
Aber erstens ist das, wie Heiner sagen würde, „viel spannender“, zweitens darf ich das nach 25 Jahren gemeinsamer Arbeit am DBG und in West und drittens (und wirklich ganz unter uns) hat Heiner van Schwamen lange überlegt, ob er eine solche Ehrung wie die heutige überhaupt annehmen dürfe.
Lieber Heiner, ich glaube, spätestens jetzt weiß jeder hier im Saal, dass Du kein eitler Selbstdarsteller oder eiskalter Showstar bist, sondern ein engagierter, besorgter, weitblickender und doch bodenständiger Bürger. Gerade auch als solcher verdienst Du die hohe Auszeichnung, die Dir heute zuteil wird.
Wir freuen uns mit Dir. Also stelle Dich der Herausforderung!
Und... zieh bitte vor der Verleihung der Dumeklemmerplakette die Klompen aus...
Herzlichen Glückwunsch!